"Das Ministerium der verlorenen Züge" im Bockenheimer Depot

Am 01. Dezember feierte das Schauspiel Frankfurt im Bockenheimer Depot die Uraufführung des "Ministeriums der verlorenen Züge" unter der Regie von Viktor Bodó. Dafür könnte kaum ein anderer Ort passender sein. Als der Intendant des Schauspiels, Anselm Weber, Vikor Bodó als Regisseur anfragte, führte er ihn in das Bockenheimer Depot, das mindestens für eine Produktion pro Spielzeit als Spielstätte des Schauspiels genutzt wird. Früher diente es als ehemaliger Betriebshof und Hauptwerkstatt der Straßenbahn in Frankfurt. Das Gebäude erinnerte Bodó an seinen langjährigen Traum, eine Reise mit der transsibirischen Eisenbahn zu unternehmen. Und mit dem Traum einer Zugreise sind die Grundsteine für das Theaterstück gelegt, welches ich mir vor einigen Tagen angesehen habe. 

'Das Ministerium der verlorenen Züge' von Péter Kárpáti, Regie: Viktor Bodó, vorne: Torsten Flassig, Ágnesh  Pákozdi, dahinter: Ensemble, Statisterie, Foto: Robert Schittko

Unterstützt von dem Kulturfonds Frankfurt RheinMain (Themenschwerpunkt "Transit") machte sich Bodó dann mit seinem Produktionsteam (ein Kamerateam, Autor Péter Kárpáti,  u. a.) mit der transsibirischen Eisenbahn auf die Reise nach Russland, China und der Mongolei. Aus den Erfahrungen, die in diesem Zuge gesammelt wurden, entstand dann "Das Ministerium der verlorenen Züge".

'Das Ministerium der verlorenen Züge' von Péter Kárpáti, Regie: Viktor Bodó, oben: Luana Velis, Ensemble, Foto: Robert Schittko

Zu Beginn ist nicht viel von dem tiefen Bühnenraum des Bockenheimer Depots zu erkennen. Denn in unmittelbarer Nähe zum Publikum steht ein Zugwaggon, dessen Fassade sich im Laufe des Abends noch öffnen wird. Wir werden eine Innenansicht mit drei Abteilen erhalten, in denen sich u.a. das weitere Geschehen abspielen wird. Im Zentrum des großen Ensembles steht der aus Frankfurt stammende Protagonist Moritz, gespielt von Sebastian Reiß. Moritz tritt die Reise mit der transsibirischen Eisenbahn von Moskau nach Peking an. 

'Das Ministerium der verlorenen Züge', von Péter Kárpáti, Regie: Viktor Bodó, oben: Sebastian Reiß, Ensemble, Statisterie, Foto: Robert Schittko

Während dieser zweiwöchigen Zugreise schreibt er das Drama "Das Ministerium der verlorenen Züge". Es treten unterdessen die verschiedensten Mitreisenden auf, deren Geschichten nur schemenhaft angeschnitten werden, wieder verblassen und gänzlich verschwinden. Die Grenzen zwischen Fiktion und Realität  mischen sich hierbei auf eine eigenartige Weise. Immer wieder tauchen Figuren auf, die als reale Mitreisende oder aber als das Personal aus Moritz' Reisedrama verstanden werden können (Melanie Straub zeigt dies beeindruckend wandelbar). So beklagt sich beispielsweise die "Nicht geschriebene Rolle" (Torsten Flassig) über ihre bedeutungslose Funktion. Konstanten bilden die Schaffnerin (Katharina Linder) oder die beiden Männer (André Meyer und Nicolas Matthews),  die einzig damit beschäftigt sind, ihre Raucherpausen auf die kurzen Stopps der Zugfahrt abzustimmen. Zu dem großen Personalaufgebot ergänzen Statisten das Bild, sowie ein Chor, der mit russischen Liedern zur musikalischen Untermalung beiträgt (Chorleitung: Yuriy Shunevych). Begleitet werden die Reisebegebenheiten mit originalen Aufnahmen der Reise von Viktor Bodó. Projiziert werden die Bilder an die Fensterflächen der Abteile. Unterstützt wird das Fahrende und die ständige Bewegtheit u. a. von den sich leicht rüttelnden Statisten, die dadurch das stimmige Bild von Bewegung schön ergänzen. 

'Das Ministerium der verlorenen Züge' von Péter Kárpáti, Regie: Viktor Bodó, v.l. Nelly Politt, Sebastian Reiß, Luana Velis, Katharina Linder, André Meyer, Foto: Robert Schittko

Filmisch werden Detailaufnahmen auf eine breite Leinwand übertragen, die sich über dem Waggon (Bühne Juli Balázs) befindet (Video Ágnesh Pákozdi). Der Stil dieser Aufnahmen erinnert blass an Filmsequenzen aus Inszenierungen von Alexander Eisenach.

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Das Ministerium der verlorenen Züge" verdankt seinen Titel einer Legende, möglicherweise aus Kárpátis eigener Feder stammend. Diese erzählt von einem Ministerium, das explizit für das Nachforschen von verschwundenen Gegenständen  eingerichtet wurde. Früher war das Reisen mit der Transsibirischen Eisenbahn so viel gefährlicher, dass neben den verschwundenen Objekten der Reisenden sogar ganze Züge gestohlen und abhanden gekommen sein sollen. 

Das Verschieben der feinen Grenzen zwischen Fiktion und Realität durchzieht diesen amüsanten und kurzweiligen Abend. Die unausweichliche Nähe der Mitreisenden untereinander und die damit verbundene Enge des Raumes verdichten das Bild. Es ist spannend zu beobachten, auf welche Weise  Moritz seine Reise wahrnimmt und inwiefern er sich durch die reale oder seine erdachte Welt bewegt und auf welche Figuren er dabei trifft. Durch die kaum pausierenden vorbeiziehenden Landschaftsbilder fühle ich mich wie eine Mitreisende und genieße das, zu Teilen surreal wirkende, zweistündige Spiel. 




Das Schauspiel Frankfurt zeigt "Das Ministerium der verlorenen Züge" in der laufenden Spielzeit en suite nur im Dezember.










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