Virtual Reality im Frankfurter Kunstverein

Körperliche Erfahrungen in virtuellen Welten

'Perception is Reality. Über die Konstruktion von Wirklichkeit und virtuelle Welten', so lautet der Titel der aktuellen Gruppenausstellung des Frankfurter Kunstvereins.
Die Künstler setzen in diesem Rahmen das Medium der Virtual Reality (VR) in den Fokus ihrer Arbeiten und betrachten dabei die menschliche Wahrnehmung in Bezug auf technisch generierte Wirklichkeiten. Die unterschiedlichen Kunstwerke sind über die vier Stockwerke des Ausstellungsgebäudes am Römerberg verteilt. Sie vereinen sich in der Fragestellung, inwiefern die künstlich erschaffenen Realitäten uns beeinflussen und wie sie unseren analogen Alltag formen.

Bayerisches Landeskriminalamt - Zentrale Fototechnik und 3D-Tatortvermessung, Foto: N. Miguletz, Copyright; Frankfurter Kunstverein

Mit dem Erhalt meiner Eintrittskarte nehme ich einen Hygieneschutz für die VR-Brillen entgegen und werde auf die Sicherheitshinweise für das Laufband der Installation 'Run Motherfucker Run' aufmerksam gemacht, die sich im obersten Stockwerk des Gebäudes befindet. Aufgeregt und voller Vorfreude starte ich meine Reise in eine, für mich noch völlig unbekannte Welt, mit dem Virtual-Reality-Spiel 'Plank Experience' von Toast, einem Kollektiv australischer Spielentwickler.

Toast, „Plank Experience“, 2016; Foto: N. Miguletz, Copyright; Frankfurter Kunstverein

Ich stehe in einem leeren Raum, vor mir liegt unscheinbar ein Holzbrett auf dem Boden. Kaum die Brille auf den Kopf gesetzt, befinde ich mich auch schon in einem Aufzug, der mich auf eine Plattform inmitten einer Skyline befördert. Das Stockwerk wähle ich selbst mit Hilfe eines Controllers aus. Kurze Zeit später öffnen sich die Aufzugstüren, ich laufe wenige Schritte über die Plattform und erreiche einen Holzbalken in Schwindel erregenden Höhen. 

Toast, „Plank Experience“, 2016; Copyright; Toast

Der (im realen Raum) gegenüber montierte Ventilator strömt mir Luft entgegen, sodass die virtuell hergestellte Situation perfekt erscheint und meine Sinne in einer ungewohnten Dimension stark herausgefordert werden. Ich komme ins Wanken und fühle mich nicht mehr sicher. Verwirrt und beeindruckt zugleich, trete ich von dem Balken zurück und stehe wieder auf der sicher wirkenden Plattform. Eine Mitarbeiterin des Kunstvereins erklärt mir, dass ich meinen Controller auch als Steuerung verwenden könne, um mit ihm durch die Häuserschluchten zu fliegen. Ebenso lässt sich der Controller auch als Wasserschlauch verwenden, mit dem ich kleine Brände auf Plattformen an anderen Häusern löschen könne. An dieser Stelle kommt dann auch der Spielcharakter der 'Plank Experience' zum Einsatz. Nach weniger geglückten Flug- und Löschversuchen , aufgrund von mangelnder Erfahrung und Unsicherheit, beende ich das Spiel und setze die VR-Brille wieder ab. Ein Gefühl von Erleichterung und Bewunderung macht sich breit. Gleichzeitig fällt eine gewisse Anspannung von mir ab; ich befinde mich wieder im Hier und Jetzt. 

Gespannt, welche virtuellen Räume sich weiter für mich öffnen werden, mache ich Halt an der 'Abteilung zentrale Fototechnik & 3D-Tatortvermessung' des Bayerischen Landeskriminalamtes. Das kriminaltechnische Institut eröffnet in diesem Zusammenhang erstmalig digitale Visualisierungen von realen Tatorten. Mit Brille und Controller nun schon vertraut, stehe ich in einer blutverschmierten Küche und kann dort unterschiedliche Betrachtungspositionen einnehmen.

Bayerisches Landeskriminalamt - Zentrale Fototechnik und 3D-Tatortvermessung

Ich bin erstaunt, welche Möglichkeiten sich durch die neue digitale Art der Datenerfassung eröffnen und wie diese die schriftliche Datenführung bald ersetzen werden. Das kostenfreie Begleitheft zur Ausstellung erklärt, dass die virtuellen Bildwelten so für die Überprüfung von Zeugenaussagen und zur Zusammenführung von Beweismitteln rekonstruiert und dauerhaft zugänglich sein werden. 

Neben weiteren virtuellen Arbeiten, die die Ausstellung zeigt, überzeugt der Künstler Hans op de Beeck mit seiner analogen Installation 'The Garden Room'. Dieser abgegrenzte begehbare Raum scheint dennoch aus einer irreal existierenden Welt entwendet zu sein. Ein Wasserbecken, Tierfiguren, Bäume und Steine wirken alle wie mit grauem Zeichenstift gemalt. Ebenso die massiv anmutenden Sitzmöglichkeiten, auf die die Besucher sich setzen dürfen.

Hans op de Beeck, "The Garden Experience" 

Durch die Sitzmöglichkeiten und Spiegelwände wird die reine Betrachtungsebene durchbrochen und ich werde Teil dieser dargestellten Parallelwelt. Hans op de Beeck zeigt mit dieser Rauminstallation, dass ein Illusionsbruch auch ganz ohne VR-Technik funktionieren kann. 

Auch die Installation 'Run Motherfucker Run' des niederländischen Multimediakünstlers Marnix de Nijs zielt auf die Verbindung zwischen menschlicher Wahrnehmung und technisch generierten Szenarien ab. So bestimme ich über gewisse Laufbewegungen auf einem überdimensional großen Laufband die Szenen, die sich auf der wandgroßen Leinwand vor mir abspielen. Ändere ich meine Laufrichtung, erscheint ein Ortswechsel. Verlangsame ich mein Tempo bis zum Stillstand des Bandes, endet das Video. 


Marnix de Nijs, „Run Motherfucker Run“, 2001/2004; Foto: N. Miguletz, Copyright; Frankfurter Kunstverein

Insgesamt zeigt die Ausstellung eine große Vielfalt an Installationen und macht dadurch deutlich, inwiefern neue Technologien auch auf die Kunstlandschaft Einfluss nehmen können und wie damit neue Ausdrucksmöglichkeiten geschaffen werden. Durch meinen Besuch im Frankfurter Kunstverein erhielt ich die Gelegenheit, völlig neue körperliche Erfahrungen machen zu können und die VR-Technologie kennen zu lernen. Im Bereich der Zeitgenössischen Kunst und der Wissenschaft finde ich es ein interessantes und weit gefächertes Medium. Andererseits wäre die Vorstellung einer direkten Beeinflussung der virtuellen Welt auf unser alltägliches Leben im kleinsten privaten Raum doch eher beängstigend.

Bis zum 07. Januar 2018 könnt ihr eure körperliche Wahrnehmung in der virtuellen Welt im Frankfurter Kunstverein testen




















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